"Kampf gegen Clan-Kriminalität
Das Al Capone-Prinzip
Nicht nur Berlin hat der organisierten Clan-Kriminalität den Kampf
angesagt – bundesweit gehen die Behörden seit Mitte 2018 verschärft
gegen rechtswidriges Verhalten von Clan-Mitgliedern vor, so wie hier im
August 2018 bei einer großen Kontrollaktion im Stadteil Neukölln.
„Berlin gehört jetzt uns. Die Familie wird wachsen, und das ist erst der Anfang“, sagt Clan-Chef Ali „Toni“ Hamady, gespielt von Kida Khodr Ramadan, in der TV-Dramaserie „4 Blocks“. Die Produktion, mittlerweile mehrfach ausgezeichnet und Kult, erzählt die Geschichte des Hamady-Clans, der sein Geld mit illegalen Geschäften in Berlin verdient, und ist, so sagen Insider, mit dem dargestellten Mix an roher Gewalt, Geld und Größenwahn nicht allzu weit von der Realität auf den Straßen der Hauptstadt entfernt. Über Jahrzehnte konnten kriminelle Teile arabisch-stämmiger Clans in großen Städten ihre Macht und ihren Einfluss ausbauen, bewohnen und beherrschen teilweise ganze Viertel, insbesondere in Berlin, Bremen und den Ruhrgebiet-Städten Essen, Duisburg und Gelsenkirchen. Drogenhandel, Schutzgelderpressung, illegales Glücksspiel, spektakuläre Einbruchs- und Raubtaten, Betrug, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigungen, Menschenhandel, tödliche Schießereien – kaum eine schwere Straftat, die noch nicht von Clan-Mitgliedern verübt wurde. Jahrzehntelang sah die Politik weg, unterschätzte das Problem. Nun aber soll sich das ändern: Die Innenminister haben der Clan-Kriminalität den Kampf angesagt.
Auf breiter Front gehen Sicherheits-, Ordnungs- und Finanzbehörden seit rund einem Jahr konzertiert gegen die organisierten Kriminellen vor – nach dem Al Capone-Prinzip:
Wenn man die Straftäter nicht wegen Mordes drankriegt, dann halt wegen Steuerbetrugs.
Ein Samstagabend im Januar. Sie kommen mit über
1.000 Einsatzkräften. Flankiert von Zoll, Finanzbehörden,
Ordnungsämtern: Um Punkt 21 Uhr rücken in Bochum, Duisburg, Dortmund,
Gelsenkirchen und Recklinghausen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zur
bislang größten Razzia aus, die es in Nordrhein-Westfalen je gegen
kriminelle arabische Clans gab. Ihr Ziel sind Shisha-Bars, Wettbüros,
Cafés und Teestuben, sie werden Verkehrs- und Personenkontrollen
durchführen. „Diese Nacht hat eine klare Botschaft:
Bei uns gilt nicht
das Gesetz der Familie, sondern das Gesetz des Staates“, sagt
NRW-Innenminister Herbert Reul, der den Einsatz in mehreren Städten vor
Ort verfolgt.
„Die Razzia liegt voll auf unserer Nulltoleranz-Linie.
Diese verfolgen wir sehr konsequent und sehr kontinuierlich. Die
kriminellen Clanmitglieder sollen merken, wir lassen sie nicht in Ruhe –
zu keiner Zeit und an keinem Ort“, macht Reul unmissverständlich klar.
Das bedeutet, dass die Behörden gemeinsam und kontinuierlich Unruhe
stiften bei den organisierten Kriminellen. Dass man ihnen ständig das
Gefühl vermittelt, auf Schritt und Tritt hinter ihnen her zu sein. Ob
Vollstreckung von Haft- und Vollzugsbefehlen, Schwarzarbeit,
Konzessionsbetrug, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Drogenbesitz und
-handel, Verstöße gegen Waffen-, Nichtraucher- oder
Jugendschutzgesetz, Gewerbeordnungs-Verstöße – die Einsatzkräfte suchen
und finden. Und sie nerven so richtig, wie sich zum Beispiel bei einer
Verkehrskontrolle in Dortmund in dieser Nacht zeigt.
In der Brackeler Straße stoppen die Beamten eine Stretch-Limousine – natürlich haben
sie es heute vor allem auf solche milieutypischen Luxuskarossen
abgesehen. Detailliert knöpfen sich die Polizisten das Gefährt und seine
14 Insassen vor. In aller Ruhe stellen sie fest: Die Limo weist
erhebliche technische Mängel auf und darf nicht weiterfahren.
Der
28-jährige Fahrer darf ein Auto dieser Länge mit so vielen Fahrgästen
überhaupt nicht führen. „Also bitte alle aussteigen“, heißt es lapidar,
die jungen Leute müssen selber sehen, wie sie weiterkommen.
Einsatzleiter Hubert Luhmann: „Wir setzen im Kampf gegen Familienclans
auf alle gebotenen und rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel.
Wir
gehen gegen Straftäter vor, ahnden aber auch jede Ordnungswidrigkeit und
jedes steuerrechtliche oder konzessionsrechtliche Vergehen.“ Und
Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange ergänzt: „Wir lassen in unseren
Städten keine rechtsfreien Räume zu und werden mit dieser dauerhaften
Strategie der kleinen, aber wirksamen Nadelstiche nicht nachlassen.“
Mindestens gepiesackt fühlt sich seit geraumer Zeit auch die kriminelle Clan-Welt in Berlin. Vom hiesigen Innensenator Andreas Geisel ging im Sommer letzten Jahres der zündende Impuls für eine neue Strategie im Kampf gegen die organisierte Kriminalität aus.
Mindestens gepiesackt fühlt sich seit geraumer Zeit auch die kriminelle Clan-Welt in Berlin. Vom hiesigen Innensenator Andreas Geisel ging im Sommer letzten Jahres der zündende Impuls für eine neue Strategie im Kampf gegen die organisierte Kriminalität aus.
Bei der
Innenministerkonferenz in Kiel warb Geisel für ein bundesweit
abgestimmtes Vorgehen gegen die Clan-Kriminalität – eben jene „Strategie
der Nadelstiche“:
Eine permanente Präsenz soll die Szene verunsichern,
Ziel ist eine Strafverfolgung à la Al Capone: „Wenn man die Straftäter
nicht wegen Mordes drankriegt, dann halt wegen Steuerbetrugs“,
skizzierte Geisel und macht seitdem Ernst damit in der Hauptstadt, wo
insbesondere in den Bezirken Neukölln und Kreuzberg, zwischen
Hermannplatz und Grenzallee, bundesweit berühmt-berüchtigte und
vernetzte Clans wie die der Familien Abou-Chaker oder Remmo aktiv sind.
5-Punkte-Plan aus Berlin macht Schule
Hunderte Clan-Einsätze hat es seit Geisels
Initiative in Berlin bereits gegeben, allein in diesem Jahr zog die
Hauptstadt-Polizei schon 160 Mal gegen mutmaßliche Clan-Kriminelle ins
Feld, davon 25 Mal mit Zoll, Ordnungsamt oder Steuerfahndung. Diese
Kombination ist Teil von Geisels 5-Punkte-Plan, den er im November 2018
vorstellte: Demnach gehen Polizei, Ordnungs-, Jugend-, Finanzämter,
Energiebetriebe, Jobcenter und Zoll in Berlin koordiniert und gemeinsam
gegen die abgeschotteten Strukturen krimineller Großfamilien vor – es
gibt „das ganze Programm“, sagt Geisel im t@cker-Interview
(t@cker-fokus). In einer ressortübergreifenden Koordinierungsstelle beim
Landeskriminalamt werden alle Informationen zu den Clans gesammelt, die
Vermögenskontrolle wird massiv verschärft, um kriminell erlangtes
Vermögen konsequenter einziehen zu können. Geahndet werden aber nicht
nur die schweren Straftaten, auch für profanes Falsch-Parken oder
Hygieneverstöße werden stringent verfolgt. Zudem – quasi der
konstruktiv-pädagogische Teil des 5-Punkte-Plans – sollen Heranwachsende
aus den Familienstrukturen motiviert werden, das kriminelle Milieu zu
verlassen. Ein schwieriges Unterfangen in einer Welt, in der der Spruch
„Knast macht Männer“ eine Auszeichnung, kein Eingeständnis ist und schon
den Kindern als Haltung vermittelt wird …
Auf der Spur des Geldes: Beamte der Berliner Polizei mit
sichergestellten Unterlagen und Gegenständen nach einer Razzia in der
Wohnung eines Mitglieds einer arabischen Großfamilie. Über verstärkte
Finanzermittlungen wollen die Strafverfolgungsbehörden den organisierten
Kriminellen das Leben schwermachen.
Politiker, Fahnder und Kriminelle in der ganzen
Republik beobachten jedenfalls nun aufmerksam, wie die neue Taktik in
der Hauptstadt der Clan-Kriminalität, wirkt. Ein Wirt in einer
Neuköllner Bar bekommt Mitte September die Gelegenheit, die Berliner
Anti-Clan-Strategie am eigenen Leib zu erfahren. Wieder mal Razzia,
wieder mal nicht nur Polizistinnen und Polizisten in voller Montur mit
Schnellfeuergewehren, sondern auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen
in Zivil von den anderen Behörden streifen großräumig durch den Kiez. Zu
Beginn noch großmäulig („Was guckst Du so!?“), sitzt der physiognomisch
beeindrucke Kneipier (groß, kräftig, Vollbart) kurze Zeit später auf
Geheiß der Beamten wie ein eingeschüchterter Pennäler auf einer Couch
und muss mit ansehen, wie das Schicksal seinen Lauf nimmt: Nicht
lizensierte Spielautomaten werden von der Wand geschraubt und aus dem
Laden getragen, es finden sich ein stattlicher Klumpen Kokain und 10.000
Euro. Der Notausgang des Lokals ist zugestellt – Verstoß gegen die Bau-
und Gewerbevorschriften. Gänzlich still wird der Wirt, als der
Einsatzleiter mit der Staatsanwaltschaft diskutiert, ob man vielleicht
auch noch die Wohnung des Kneipiers durchsuchen sollte, wegen des
Kokainfunds, allerdings schliefen dort seine Frau und die drei Kinder,
gibt der Einsatzleiter zu bedenken. Die Staatsanwaltschaft winkt zur
Erleichterung des Gastronoms ab: Wäre bei dem Wirt etwas zu holen,
stünde schon längst ein Anwalt auf der Matte, vermuten die
Strafverfolger. Um kurz nach ein Uhr entzieht der Chef des Ordnungsamts
der Kneipe die Betriebserlaubnis und versiegelt die Tür.
Der Wirt folgt
den Polizeibeamten mit hängenden Schultern auf die Dienststelle.
„Endlich!“, sagen Kenner der Szene
Die Ruhe ist also zunächst einmal dahin im
kriminellen Clan-Milieu, Dank der Offensive der Behörden insbesondere in
Berlin und Nordrhein-Westfalen. „Endlich!“, sagen vor allem die Kenner
der Szene in den Polizeibehörden. Seit der Wende mussten die Ermittler
wegen fehlender politischer Aufmerksamkeit und Rückendeckung mehr oder
weniger hilflos zusehen, wie hunderte Männer aus Großfamilien, viele mit
türkisch-arabischem Hintergrund, durch Raub, Diebstahl, Hehlerei,
Körperverletzung, Nötigung, Erpressung, Drogenhandel, Betrug aller Art,
Geldwäsche sowie Verstößen gegen das Waffengesetz, seltener auch durch
Tötungsdelikte, ihr Vermögen, ihre Macht und ihren Einfluss in vielen
deutschen Städten vermehrten. „Es wurde 20 Jahre lang gepennt“,
kritisierte der Berliner Kriminaldirektor Carsten Wendt, Dezernatsleiter
Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt, der den
hauptstädtischen Clan-Sumpf so gut wie kaum ein anderer kennt, unlängst
bei einer Fachtagung. Schon 2003 hätten Polizisten vor einer
Verbrechenswelle durch arabische Großfamilien gewarnt und die Politik
zum Handeln aufgefordert. Passiert sei „nichts, partei- und
bundesländerübergreifend“.
Steigender Druck und erste Erfolge
Jetzt steigt der Druck. Vorbei die Zeiten, in
denen in so genannten „No-Go-Areas“ Kontrollen einzelner Behörden
scheiterten, weil die Mitarbeitenden von aggressiven Mobs in die Flucht
geschlagen wurden, Polizeistreifenwagen in gefährliche Hinterhalte
gerieten. Wenn der Staat jetzt kommt, dann mit Macht und aller
Entschlossenheit. Und der Plan geht auf. Barbara Slowik, Berlins
Polizeipräsidentin, konstatiert eine Art behördenübergreifende
Aufbruchsstimmung: „Ob das die Senatsverwaltung für Finanzen ist, die
Justiz, die Staatsanwaltschaft oder die Polizei: Es gibt eine sehr große
Bereitschaft, hier Kraft zu investieren und dieses Thema noch
intensiver anzugehen.“ 2018 erzielte die Hauptstadt-Kripo bereits
zahlreiche Aufklärungserfolge auf dem Feld der Clan-Kriminalität.
Häuser, Wohnungen und mehr als 150 Autos wurden beschlagnahmt,
mutmaßliche Beteiligte an einem Geldtransporter-Überfall gefasst,
massive Einsätze gegen den organisierten Drogenhandel gefahren.Auch in Nordrhein-Westfalen fühlt man sich von den positiven Erfahrungen und Rückmeldungen bestärkt, den Kampf gegen die kriminellen Clans weiter zu verstärken. Laut jüngstem Lagebild hat die Landespolizei im Bereich der Organisierten Kriminalität 2018 fast fünf Mal mehr Geld beschlagnahmt als im Vorjahr – das sichergestellte kriminelle Vermögen stieg von 4,6 auf 21,7 Millionen Euro. Grund dafür ist insbesondere der verstärkte Einsatz spezieller Finanzermittler. Eine Kommission um den Innenpolitik- und Sicherheitsexperten Wolfgang Bosbach legte zudem für NRW soeben ein neues Strategiekonzept vor, das viele Elemente des Berliner 5-Punkte-Plans aufgreift, darunter auch ein behördenübergreifendes strategisches Informationszentrum, und noch mehr rechtliche Befugnisse für Polizei und Justiz vorsieht. Außerdem angeregt werden regelmäßige Zusatzschulungen für Clan-Ermittler, eine intensivere Zusammenarbeit mit der Polizei in Nachbarstaaten, ein Ausbau der polizeilichen Datenbanken, mehr Observierungskräfte, eine bessere Ausstattung der mobilen Einsatzkommandos und mehr Befugnisse bei der Funkzellenauswertung zur Aufenthaltsortbestimmung eines Tatverdächtigen zur Tatzeit. Ende Oktober will die Landesregierung in Düsseldorf entscheiden, welche Punkte des Konzepts umgesetzt werden."
Quelle: t@cker 10/2019, URL: http://www.tacker-online.de/html/story.html
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