t@cker-Interview mit Innensenator Andreas Geisel zum Kampf gegen die Clan-Kriminalität:
"Innensenator Andreas Geisel über Berlins Strategie im Kampf gegen Clankriminalität:
„Das ganze Programm“
Seit November 2018 arbeitet Berlin nach einem
5-Punkte-Plan gegen die organisierte Clankriminalität in der Hauptstadt.
Unter Federführung von Innensenator Andreas Geisel gehen Polizei,
Ordnungs-, Jugend-, Finanzämter, Energiebetriebe, Jobcenter und Zoll
nunmehr koordiniert und gemeinsam gegen die abgeschotteten Strukturen
krimineller Großfamilien vor – es gibt „das ganze Programm“, sagt
Geisel.
Den Clans soll es schon beim Falschparken an den Kragen gehen.
t@cker hat mit dem Berliner Innensenator über seinen Plan, die
Erfolgsaussichten und die Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen
Debatte über Auftreten und Verhalten der Clanmitglieder und ihrer
„Dunstkreise“ – Stichwort Bushido – gesprochen.
t@cker: Herr
Geisel, seit Monaten ist gefühlt „ständig Razzia“ in Berlin – Sie haben
der Clan-Kriminalität den Kampf angesagt. Die Polizei setzt den
organisierten Verbrechern jetzt gezielt und Seite an Seite mit Justiz-
und Finanzbehörden, Jobcentern und Bezirksämtern zu. Warum wurde diese
Taktik der tausend Nadelstiche nicht schon viel früher praktiziert?
Andreas Geisel: Es wurde
auch vor meinem 5-Punkte-Plan viel unternommen. Polizei,
Staatsanwaltschaft und andere Behörden wie beispielsweise das Bezirksamt
Neukölln haben schon früher Maßnahmen gegen die Clan-Kriminalität
ergriffen. Neu ist, dass dies jetzt mit einem ressortübergreifenden
Ansatz geschieht. Die verstärkten Kontrollen, der erhöhte Kontrolldruck
erzielen jetzt eine andere und größere Intensität und Nachhaltigkeit. Es
wird niedrigschwellig eingegriffen, und wir gehen jetzt daran, wo es
den Kriminellen besonders weh tut: An das kriminell erwirtschaftete
Vermögen. Deshalb wurden auch die rechtlichen Möglichkeiten zur
Vermögensabschöpfung intensiviert.
t@cker: Die
Clans hatten Jahre lang Zeit, sich dem Staat zu entziehen und
Parallelregime aufzubauen. Wird es je gelingen, diese Strukturen
nachhaltig zu zerschlagen? Denn noch ist ja nicht einmal sicher, was am
Ende des neuen Konzepts rechtlich konkret, also vor Gericht, überhaupt
rauskommt …
Andreas Geisel: Ich bin
in diesem Punkt sehr optimistisch. Ich habe immer gesagt, wir müssen
ganzheitlich ansetzen und ressortübergreifend zusammenarbeiten.
Einzelne
kriminelle Angehörige dieser Clans stellen sich offen und provozierend
gegen unsere Rechtsordnung. Dem begegnen wir mit allen Mitteln des
Rechtsstaates.
Mein Eindruck ist, dass sich der erhöhte Kontrolldruck
und das Zusammenwirken unterschiedlicher Behörden und Verwaltungen bei
den kriminellen Mitgliedern bemerkbar machen. Bis Mitte August dieses
Jahres fanden 157 Einsatzmaßnahmen der Polizei Berlin statt, davon 22
als Verbundeinsätze. Das sind im Schnitt vier pro Woche.
Neben der
Polizei waren an diesen Einsätzen u.a. auch die Bezirksämter mit ihren
Ordnungs- und Jugendämtern, das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen,
die Geldwäscheaufsicht der Senatsverwaltung für Wirtschaft,
Energiebetriebe und das Hauptzollamt Berlin beteiligt. Dabei wurden vor
allem Gewerbeeinrichtungen und Lokale wie z.B. Shisha-Bars, Spielhallen
und Wettbüros kontrolliert. Das Spektrum der Kontrolle reicht von der
Einhaltung des Jugendschutzes bis zur Gewerbe- und Abgabenordnung.
Die
Behörden und Verwaltungen haben Juweliere und Edelmetallhändler
aufgesucht und überprüft, ob die Bestimmungen des Geldwäschegesetzes
eingehalten werden.
Hinzu kommen regelmäßige Verkehrskontrollen,
illegale Autorennen, Parken in der zweiten Reihe – das ganze Programm.
Das Landeskriminalamt Berlin hat Ende April 2019 insgesamt 60 Beschlüsse zur Sicherung der Mieteinnahmen aus Immobilien vollzogen. Dabei handelt es sich um Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche. Auch die Beschlagnahme von 77 Immobilien und den damit verbundenen Mieteinnahmen waren wichtige Schritte. Sie sehen: Unterschiedliche Behörden und Verwaltungen arbeiten intensiv daran. Es ist noch ein langer Weg, aber wir haben die richtigen ersten Schritte bereits gemacht.
Das Landeskriminalamt Berlin hat Ende April 2019 insgesamt 60 Beschlüsse zur Sicherung der Mieteinnahmen aus Immobilien vollzogen. Dabei handelt es sich um Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche. Auch die Beschlagnahme von 77 Immobilien und den damit verbundenen Mieteinnahmen waren wichtige Schritte. Sie sehen: Unterschiedliche Behörden und Verwaltungen arbeiten intensiv daran. Es ist noch ein langer Weg, aber wir haben die richtigen ersten Schritte bereits gemacht.
t@cker: Klingt
nach reichlich Sisyphusarbeit in den kommenden Jahren. Wie sieht das
Erwartungsmanagement bei den eingesetzten Kräften selbst aus – sind die
Kolleginnen und Kollegen nicht jetzt schon frustriert?
Andreas Geisel: Nein, im
Gegenteil, die Kolleginnen und Kollegen der Polizei, aber auch der
anderen beteiligten Behörden und Verwaltungen sind mit einem hohen
Engagement bei der Sache. Ich habe in der Vergangenheit viele Einsätze
vor Ort begleitet.
Dabei habe ich erlebt, dass die Polizei so vorgeht,
wie ich mir das vorstelle: gut vorbereitet, besonnen,
verantwortungsbewusst und konsequent. Leider kommt es immer wieder vor,
dass Polizistinnen und Polizisten bei ihrer Arbeit beschimpft und auch
tätlich angegriffen werden. Die Einsatzkräfte handeln aber hoch
professionell und lassen sich nicht provozieren. Ich habe vielmehr den
Eindruck, dass sich in den Dienststellen, die mit der Bekämpfung der
Clan-Kriminalität zu tun haben, die Kolleginnen und Kollegen darüber
freuen, dass sich endlich mehr tut. Ich sage es den Einsatzkräften auch
immer persönlich, wiederhole es jetzt aber gerne noch einmal: Die
Politik und ich als politisch verantwortlicher Innensenator stehen
hinter den Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, das spüren sie auch.
t@cker:
Wie wollen Sie an das kriminelle Vermögen der Clans rankommen?
Die
Familien sind längst dabei, ihr schmutziges Geld legal anzulegen, in
Immobilien, Restaurants, Bars. Die Erstellung einer gerichtsfesten
Beweiskette stellt die Ermittler in jedem Fall vor eine enorme
Herausforderung …
Andreas Geisel: Wir
haben zusammen mit anderen Behörden und Verwaltungen Maßnahmen und
Möglichkeiten erarbeitet, um verstärkt Gewerbe- und Finanzkontrollen
durchführen zu können. Die steuerrechtlichen Gewerbekontrollen wurden
erhöht und ein verbesserter Informationsaustauch zur Verhinderung von
Geldwäsche vereinbart.
Alle beteiligten Behörden und Verwaltungen zeigen
Steuerstraftaten konsequent an und leiten Hinweise bzw.
steuerrechtliche Verdachtsmomente an die Finanzverwaltung weiter.
Insgesamt wurden die rechtlichen Möglichkeiten zur Vermögensabschöpfung
intensiviert. Bei der Generalstaatsanwaltschaft wurde eine
Spezialabteilung zur Abschöpfung kriminellen Vermögens gegründet.
Inwiefern die Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung zur Einziehung
illegal erlangten Vermögens ausreichend sind, ob wir an der einen oder
anderen Stelle noch nachbessern können, müssen wir abwarten. Wir haben
hier ein vergleichsweise neues Instrument, mit dem wir noch Erfahrungen
machen.
t@cker: Wie
sieht es mit Blick auf die technische Überwachung aus – reichen da die
bislang zulässigen Möglichkeiten aus, oder sollte der Gesetzgeber auch
hier nachsteuern?
Andreas Geisel: Die Abschottung bzw. der ständige Versuch sich abzuschotten, ist ein Merkmal des „Clanmilieus“ und erschwert naturgemäß die operativen polizeilichen Maßnahmen. Aber das ist für die Strafverfolgungsbehörden nicht neu.
Andreas Geisel: Die Abschottung bzw. der ständige Versuch sich abzuschotten, ist ein Merkmal des „Clanmilieus“ und erschwert naturgemäß die operativen polizeilichen Maßnahmen. Aber das ist für die Strafverfolgungsbehörden nicht neu.
Das galt auch schon
bei der Bekämpfung der „Rockerkriminalität“ und wird die
Ermittlungsbehörden auch bei der Bekämpfung der Clankriminalität nicht
an Erfolgen hindern. Wir dürfen bei allem Streben nach erfolgreichen
Ermittlungen nicht vergessen, dass ein klarer rechtlicher Rahmen für
nicht offenes Ermitteln besteht.
Daran werden wir uns halten und
gleichzeitig alle uns zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel
ausschöpfen. Aufgrund begrenzter finanzieller Möglichkeiten konnte in
den vergangenen Jahren nur wenig investiert werden. Die Zeiten haben
sich geändert. Meine drei wichtigsten Punkte sind: Mehr Personal,
optimale Ausstattung und bessere Bezahlung. Ich werde mich weiter dafür
einsetzen, dass unsere Polizei das Bestmögliche zur
Kriminalitätsbekämpfung bekommt.
t@cker: Strafverfolgung ist sicher der ganz entscheidende Part bei der Bekämpfung der Clan-Kriminalität. Aber müssten parallel nicht auch neue politische Schwerpunktsetzungen und eine breite gesellschaftliche Debatte mit Blick auf die Akteure angestoßen werden? Welche Rolle spielen Integration und konkrete Angebote für Aussteiger?
t@cker: Strafverfolgung ist sicher der ganz entscheidende Part bei der Bekämpfung der Clan-Kriminalität. Aber müssten parallel nicht auch neue politische Schwerpunktsetzungen und eine breite gesellschaftliche Debatte mit Blick auf die Akteure angestoßen werden? Welche Rolle spielen Integration und konkrete Angebote für Aussteiger?
Wie wichtig ist die kritische
öffentliche Auseinandersetzung mit den klassischen Verhaltensmustern und
Rollenmodellen aus dem Dunstkreis der Clans – Gewaltverherrlichung,
Machismo, die totale Ablehnung des Staats und seiner Regeln?
Was möchten
Sie zum Beispiel jungen Menschen sagen, die so genannte Gangsta-Rapper
glorifizieren, etwa Bushido, der sich in Berlin ganz offen mit
kriminellen Clans einlässt?
Andreas Geisel: Sie haben Recht, das Thema muss gesamtgesellschaftlich angegangen werden und kann nicht allein von der Polizei oder einem einzigen Bezirksamt bewältigt werden. Genau deshalb verfolgen wir ein gesamtgesellschaftliches, umfassendes Konzept aus Prävention und Repression. Unsere Maßnahmen und unsere Bekämpfungsansätze können nur erfolgreich sein, wenn wir wirklich ganzheitlich ansetzen, also alle Aspekte und Möglichkeiten betrachten und ressortübergreifend zusammenarbeiten. Wir haben diese Thematik in unserem 5-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Clankriminalität berücksichtigt.
Ein Punkt ist die Erarbeitung eines ressortübergreifenden phänomenbezogenen Rahmenkonzepts, um den Einstieg von jungen Menschen in die (Organisierte) Kriminalität möglichst frühzeitig zu verhindern und einen Ausstieg zu ermöglichen.
Wir müssen den jungen Menschen ganz klar sagen: Halt Dich von Kriminellen fern.
Bushido ist kein Vorbild. Bushido ist ein abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn Du Dich mit Clans einlässt."
Quelle: t@cker 10/2019, URL: http://tacker-online.de/html/fokus.html
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