Donnerstag, 23. September 2021

dbb Info 34 / 2021: EuGH-Urteil - Ruhezeiten sind Teil der Arbeitszeit (Wichtiges Urteil für den Öffentlichen Dienst)

dbb Info 34 / 2021: EuGH-Urteil - Ruhezeiten sind Teil der Arbeitszeit (Wichtiges Urteil für den Öffentlichen Dienst)

Die dbb Beamtenbund und Tarifunion macht mit der dbb Info 34 / 2021 ein wichtiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bekannt und nimmt Einschätzungen vor, wie in Deutschland künftig (schnellstmöglich) das Recht angepasst werden muss:

"Ruhepausen als Arbeitszeit
Entscheidung des EuGH vom 9. September 2021 (C-107/19)
 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
der EuGH hat aktuell entschieden, dass Art. 2 der EU-Arbeitszeitrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause als „Arbeitszeit“ einzustufen ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.
 

Wesentlicher Sachverhalt
Beurteil wurde der Sachverhalt, dass ein Feuerwehrmann in Prag während der Ruhepause
ein Funkgerät bei sich zu führen hatte, um in zwei Minuten wieder einsatzbereit zu sein.
Aufgrund eines Vorlagebeschlusses musste der EuGH die Frage entscheiden, ob Art. 2 der
Richtlinie 2003/88 dahingehend auszulegen ist, dass die einem Arbeitnehmer während
seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause, in der er, wenn nötig, binnen zwei Minuten einsatzbereit sein muss, als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist und ob der gelegentliche und unvorhersehbare Charakter sowie die Häufigkeit von Einsatzfahrten während dieser Ruhepause einen Einfluss auf die rechtliche Qualifizierung haben. 

 
Wesentliche Entscheidungsgründe
Der EuGH wies daraufhin, dass Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 den Begriff „Arbeitszeit“
definiert als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber
zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. 

In Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie werde der Begriff „Ruhezeit“ negativ definiert als „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Da der Feuerwehrmann während seiner Ruhepause an seinem Arbeitsplatz nicht ersetzt wurde und über ein Funkgerät verfügte, mit dem er alarmiert werden konnte, falls er seine Pause für einen plötzlichen Einsatz unterbrechen musste, entschied der EuGH, dass der Feuerwehr während seiner Pausen Bereitschaftsdienst leistete, wobei der Begriff „Bereitschaft“ allgemein sämtliche Zeiträume umfasst, in denen der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht, um auf dessen Verlangen eine Arbeitsleistung erbringen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C344/19).
Der EuGH stellte fest, dass sich der Arbeitnehmer, der während einer solchen Bereitschaftszeit verpflichtet ist, zur sofortigen Verfügung seines Arbeitgebers an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss
und weniger frei über die Zeit verfügen kann, in der er nicht in Anspruch genommen wird.
Folglich ist dieser gesamte Zeitraum, unabhängig von den Arbeitsleistungen, die der Arbeitnehmer darin tatsächlich erbringt, als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88
einzustufen.
Zum anderen stufte der EuGH eine Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, d. h. einen Zeitraum, in dem sich der Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber zur Verfügung hält, um auf dessen Anforderung eine Arbeitsleistung erbringen zu können, ohne an seinem Arbeitsplatz bleiben zu müssen, gleichwohl insgesamt als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 ein, sofern diese sich angesichts der objektiv vorhandenen und ganz erheblichen Auswirkungen der dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen auf seine Möglichkeiten, sich seinen persönlichen und sozialen Interessen zu widmen, von einem Zeitraum unterscheidet, in dem der Arbeitnehmer lediglich für seinen Arbeitgeber erreichbar sein muss.
Daraus folgerte der EuGH, dass unter dem Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie
2003/88 sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften fallen, während
deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie
seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen
Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.
 

Relevanz der Entscheidung
Die Entscheidung könnte auf die gesetzlichen Regelungen der Arbeitszeitverordnungen
im Bund (AZV) - und alle vergleichbaren Länderregelungen - Auswirkungen haben.
Jedenfalls sind die Gesetz- und Verordnungsgeber in den 17 Rechtskreisen des Beamtenrechts zu Fragen der Ausgestaltung der Arbeitszeit aufgerufen, die o.g. Entscheidung sorgfältig zu analysieren und mindestens klarstellende Regelungen zu den Begriffsbestimmungen vorzunehmen.

Mit kollegialen Grüßen
Friedhelm Schäfer
Zweiter Vorsitzender
Fachvorstand Beamtenpolitik"

Quelle: dbb Info 34 / 2021, URL: https://dokumente.dbb.de/dokumente_gl/GF/Infos2021/Info34-2021.pdf 




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