dbb Info 34 / 2021: EuGH-Urteil - Ruhezeiten sind Teil der Arbeitszeit (Wichtiges Urteil für den Öffentlichen Dienst)
Die dbb Beamtenbund und Tarifunion macht mit der dbb Info 34 / 2021 ein wichtiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bekannt und nimmt Einschätzungen vor, wie in Deutschland künftig (schnellstmöglich) das Recht angepasst werden muss:
"Ruhepausen als Arbeitszeit 
Entscheidung des EuGH vom 9. September 2021 (C-107/19) 
 
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, 
der EuGH hat aktuell entschieden, dass Art. 2 der EU-Arbeitszeitrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause als „Arbeitszeit“ einzustufen ist, wenn sich aus einer  Gesamtwürdigung  der  relevanten  Umstände  ergibt,  dass die  dem  Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind,  dass  sie  objektiv  gesehen  ganz  erheblich  seine  Möglichkeit  beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen. 
 
Wesentlicher Sachverhalt 
Beurteil wurde der Sachverhalt, dass ein Feuerwehrmann in Prag während der Ruhepause 
ein Funkgerät bei sich zu führen hatte, um in zwei Minuten wieder einsatzbereit zu sein. 
Aufgrund eines Vorlagebeschlusses musste der EuGH die Frage entscheiden, ob Art. 2 der 
Richtlinie  2003/88  dahingehend  auszulegen  ist, dass  die  einem  Arbeitnehmer  während 
seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause, in der er, wenn nötig, binnen zwei Minuten  einsatzbereit  sein  muss,  als  „Arbeitszeit“  oder  als  „Ruhezeit“  im  Sinne  dieser  Bestimmung einzustufen ist und ob der gelegentliche und unvorhersehbare Charakter sowie die Häufigkeit von Einsatzfahrten während dieser Ruhepause einen Einfluss auf die rechtliche Qualifizierung haben. 
 
Wesentliche Entscheidungsgründe 
Der EuGH wies daraufhin, dass Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 den Begriff „Arbeitszeit“ 
definiert als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber 
zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. 
In Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie werde der Begriff „Ruhezeit“ negativ definiert als „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Da der Feuerwehrmann während seiner Ruhepause an seinem Arbeitsplatz nicht ersetzt wurde und über ein Funkgerät verfügte, mit dem er alarmiert werden  konnte,  falls  er  seine  Pause  für  einen  plötzlichen  Einsatz  unterbrechen  musste, entschied der EuGH, dass der Feuerwehr während seiner Pausen Bereitschaftsdienst leistete, wobei der Begriff „Bereitschaft“ allgemein sämtliche Zeiträume umfasst, in denen der  Arbeitnehmer  seinem  Arbeitgeber  zur  Verfügung  steht,  um  auf  dessen  Verlangen eine Arbeitsleistung erbringen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19). 
Der  EuGH  stellte  fest,  dass  sich  der  Arbeitnehmer,  der  während  einer  solchen  Bereitschaftszeit  verpflichtet  ist,  zur  sofortigen Verfügung seines  Arbeitgebers  an seinem  Arbeitsplatz zu bleiben, außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss 
und weniger frei über die Zeit verfügen kann, in der er nicht in Anspruch genommen wird. 
Folglich ist dieser gesamte Zeitraum, unabhängig von den Arbeitsleistungen, die der Arbeitnehmer  darin  tatsächlich erbringt,  als „Arbeitszeit“  im  Sinne  der  Richtlinie  2003/88 
einzustufen. 
Zum anderen stufte der EuGH eine Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, d. h. einen Zeitraum, in dem sich der Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber zur Verfügung hält, um  auf  dessen  Anforderung  eine  Arbeitsleistung  erbringen zu  können,  ohne  an  seinem Arbeitsplatz  bleiben  zu  müssen,  gleichwohl  insgesamt  als  „Arbeitszeit“  im  Sinne  der Richtlinie 2003/88 ein, sofern diese sich angesichts der objektiv vorhandenen und ganz erheblichen  Auswirkungen  der  dem  Arbeitnehmer  auferlegten  Einschränkungen  auf seine  Möglichkeiten,  sich  seinen  persönlichen  und  sozialen  Interessen  zu  widmen,  von einem Zeitraum unterscheidet, in dem der Arbeitnehmer lediglich für seinen Arbeitgeber erreichbar sein muss. 
Daraus  folgerte  der  EuGH,  dass  unter  dem  Begriff  „Arbeitszeit“  im  Sinne  der  Richtlinie 
2003/88 sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften fallen, während 
deren  dem  Arbeitnehmer  Einschränkungen  von  solcher  Art  auferlegt  werden,  dass  sie 
seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen  nicht  in  Anspruch  genommen  werden,  frei  zu  gestalten  und  sie  seinen  eigenen 
Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. 
 
Relevanz der Entscheidung  
Die Entscheidung könnte auf die gesetzlichen Regelungen der Arbeitszeitverordnungen 
im Bund (AZV) - und alle vergleichbaren Länderregelungen - Auswirkungen haben.  
Jedenfalls sind die Gesetz- und Verordnungsgeber in den 17 Rechtskreisen des Beamtenrechts  zu  Fragen  der  Ausgestaltung  der  Arbeitszeit  aufgerufen,  die  o.g.  Entscheidung sorgfältig  zu  analysieren  und  mindestens  klarstellende  Regelungen  zu  den  Begriffsbestimmungen vorzunehmen.  
Mit kollegialen Grüßen 
Friedhelm Schäfer 
Zweiter Vorsitzender 
Fachvorstand Beamtenpolitik"
 
Quelle: dbb Info 34 / 2021, URL: https://dokumente.dbb.de/dokumente_gl/GF/Infos2021/Info34-2021.pdf