"Umweltbundesamt zwischen Labor und Natur
Fließ- und Stillgewässer: Alles klar?
Von Dominique Roth und Selina Lampe (Fotos)
Die Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage (FSA) des Umweltbundesamtes in Berlin bildet fließende, stehende und durchströmte Gewässer mit den darin befindlichen aquatischen Lebensgemeinschaften nach. Darin untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie sich insbesondere Schadstoffe auf die Wasserqualität und -lebewesen auswirken. |
„Jetzt haben wir uns schon wieder die Hand
gegeben“, lacht Ralf Schmidt und winkt verlegen ab. Er verabschiedet
sich und geht wieder in das Bürogebäude der Fließ- und
Stillgewässer-Simulationsanlage. Es ist Anfang März 2020, das Wort
Homeoffice geistert schon durch die Medien, ist aber im Arbeitsalltag
der meisten Beschäftigten noch nicht angekommen. Immer stärker werdender
Nieselregen, Berliner Stadtrand. Von der Anlage, die in den 90er Jahren
gebaut wurde, geht der Blick in die Brandenburger Weite.
Eine gute Stunde zuvor reicht Schmidt zum ersten
Mal die Hand - trotz der noch neuen Corona-Ratgeber - und setzt sich an
seinen Schreibtisch. Hinter ihm im Regal hat er mehrere Plastikflaschen
aneinandergereiht. Eine davon sieht noch recht neu aus, der Kunststoff
ist noch durchsichtig. Die anderen sind bereits milchig geworden, alle
in unterschiedlichen Abstufungen. „Daran kann man die Abnutzung
erkennen“, erklärt Schmidt. Die Plastikflaschen seien Teil einer
längeren Studie, die sich über mehrere Saisons hinzieht, so der Forscher
weiter. Untersucht werden soll, wie schnell die Flaschen Mikroplastik
ins Wasser abgeben und welche Auswirkungen das auf Pflanzen und
Kleinstlebewesen haben kann. Dabei werden die Flaschen in
unterschiedliche künstlich angelegte Wasserbiotope gelegt. Etwa in eine
Brandung, in der permanent kleine Wellen über den Flaschen brechen. Oder
in einen simulierten Bachlauf. „Dauert gar nicht lange“, zeigt Schmidt
beiläufig auf eine der arg mitgenommenen Kunststoffflaschen, „bis die so
abgenutzt aussehen - ein paar Wochen vielleicht.“
Die Anlage verbindet naturnahe Biodynamik mit laborähnlicher Kontrolle
Die Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage
(FSA) des Umweltbundesamtes ist eine so genannte Mesokosmenanlage. Darin
lassen sich fließende, stehende und durchströmte Gewässer mit den darin
befindlichen aquatischen Lebensgemeinschaften nachbilden. Dadurch
können hier Untersuchungen stattfinden, die sich einerseits sehr nah an
den natürlichen Gegebenheiten in den Gewässern orientieren, und die
andererseits optimale Beprobungsmöglichkeiten bieten - fast wie im
Labor.
Der Zweck dieser Mesokosmen-Experimente ist es etwa, gezielt Stoffe oder Mikroorganismen einzubringen, um ihre Wirkung auf Flora und Fauna festzustellen. Darüber hinaus beobachten die Forscher, wie sich die eingebrachten Stoffe verteilen und wie stabil sie bleiben.
„Ein relativ bekanntes Beispiel dafür war unsere Studie zu den Antifouling-Mitteln“, erklärt Schmidt. Dabei wurden die bioziden Wirkstoffe von Beschichtungen untersucht, die seinerzeit für das Auftragen auf Schiffsrümpfen vorgesehen waren. „Wir haben die entsprechenden Wirkstoffe in unsere gezüchteten Systeme gegeben und gesehen, dass sie den Wasserpflanzen sichtbar geschadet haben.“ Die Untersuchungen führten laut Schmidt letzten Endes dazu, dass die EU-Kommission diese Antifouling-Beschichtungen verboten hat.
Der Zweck dieser Mesokosmen-Experimente ist es etwa, gezielt Stoffe oder Mikroorganismen einzubringen, um ihre Wirkung auf Flora und Fauna festzustellen. Darüber hinaus beobachten die Forscher, wie sich die eingebrachten Stoffe verteilen und wie stabil sie bleiben.
„Ein relativ bekanntes Beispiel dafür war unsere Studie zu den Antifouling-Mitteln“, erklärt Schmidt. Dabei wurden die bioziden Wirkstoffe von Beschichtungen untersucht, die seinerzeit für das Auftragen auf Schiffsrümpfen vorgesehen waren. „Wir haben die entsprechenden Wirkstoffe in unsere gezüchteten Systeme gegeben und gesehen, dass sie den Wasserpflanzen sichtbar geschadet haben.“ Die Untersuchungen führten laut Schmidt letzten Endes dazu, dass die EU-Kommission diese Antifouling-Beschichtungen verboten hat.
Die Anlage besteht aus vielen verschiedenen Modulen
Ralf Schmidt ist Fachgebietsleiter im Fachbereich
Chemikaliensicherheit.
Er ist zuständig für Spurenanalytik und eben die
Fließ- und Stillgewässersimulationen. Dabei ist er, wie er selbst sagt,
in das Thema Umweltschutz „irgendwie reingerutscht“.
Der studierte
Lebensmittelchemiker hat vor geraumer Zeit Stoffe in Lebensmitteln
getestet und darüber seine Begeisterung für das Thema entdeckt.
Schmidt steht auf einer Brücke, die quer über das grüne Fließrinnensystem führt, das sich in langen, größtenteils halbrunden Bahnen durch eine Industriehalle schlängelt.
Schmidt steht auf einer Brücke, die quer über das grüne Fließrinnensystem führt, das sich in langen, größtenteils halbrunden Bahnen durch eine Industriehalle schlängelt.
„Die gesamte Anlage ist
modular aufgebaut“, zeigt Schmidt, „wir können die Rinnen so stecken,
wie wir es brauchen.“ Dafür gibt es unterschiedliche Bauteile wie etwa
ein rechteckiges Becken, dessen Boden im Vergleich zu den anderen
Stücken etwas abgesenkt ist. In ein paar dieser Becken werden gerade
neue Wasserpflanzen herangezüchtet.
„Wir sind gerade am Umbauen,
zwischen zwei Versuchen“, betont Schmidt.
Die Halle sehe aber auch
während der Versuche so leer wie jetzt. „Wir benötigen hier in der Regel
immer nur ein paar Proben, die wir dann in den Laboren analysieren.“
Die Forscher testen Schadstoffe in unterschiedlichen Konzentrationen
Draußen, vor der Halle ist noch ein zweites
Wannensystem installiert. „Hier sind die Bedingungen noch naturnäher“,
fährt Schmidt fort. Hier komme, wie heute, der Regen dazu, der Wind, die
Sonne und weitere äußere Bedingungen. „Da kommen auch immer mal wieder
Vögel und trinken aus dem Wasser oder picken sich ein paar der Insekten,
die wir hier züchten.“
Denn um die Natur so gut es geht künstlich nachzuahmen, stellen Schmidt und seine Kolleginnen und Kollegen kleine Nahrungsketten in den Becken her.
Denn um die Natur so gut es geht künstlich nachzuahmen, stellen Schmidt und seine Kolleginnen und Kollegen kleine Nahrungsketten in den Becken her.
Wasserpflanzen, Insekten, Larven, Wasserflöhe, Schnecken und
vieles Getier mehr.
„Wir machen das natürlich auch immer abhängig vom
Stoff, den wir testen wollen“, sagt Schmidt, „je nachdem, ob es sich
dabei um ein Herbizid oder ein Insektizid handelt.“
Die Tests laufen ähnlich vielfältig ab. Oft wird das Schlupfverhalten der Insekten analysiert, oder die Wasserpflanzen werden gewogen und mit einem Blindwert verglichen.
Die Tests laufen ähnlich vielfältig ab. Oft wird das Schlupfverhalten der Insekten analysiert, oder die Wasserpflanzen werden gewogen und mit einem Blindwert verglichen.
„So nennen wir die Systeme,
in die wir keine zu untersuchenden Stoffe eingegeben haben“, so der
Forscher.
Schmidt hat seine Mütze tief ins Gesicht geschoben. Durch den anhaltenden Nieselregen laufend, erklärt er die nebeneinanderstehenden Rinnen. „Wir bringen die Schadstoffe oft in aufsteigenden Konzentrationen aus - in jeder Rinne unterschiedlich“, so Schmidt.
Schmidt hat seine Mütze tief ins Gesicht geschoben. Durch den anhaltenden Nieselregen laufend, erklärt er die nebeneinanderstehenden Rinnen. „Wir bringen die Schadstoffe oft in aufsteigenden Konzentrationen aus - in jeder Rinne unterschiedlich“, so Schmidt.
Durch
die verschiedenen Ergebnisse bei Pflanzen und Tieren würden dann
sogenannte Effektkonzentrationen ermittelt. „Ist diese
Wirkungskonzentration sehr nah an dem Wert, wie er voraussichtlich in
der Umwelt vorkommen wird, gibt es ein Problem“, betont der
Wissenschaftler.
Um die Natur so gut es geht künstlich nachzuahmen, stellen Schmidt und seine Kolleginnen und Kollegen kleine Nahrungsketten in den Becken her. Wasserpflanzen, Insekten, Larven, Wasserflöhe, Schnecken und vieles Getier mehr. Die Schadstoffe, zum Beispiel Herbizide oder Insektizide, werden dann in aufsteigenden Konzentrationen ausgebraucht - in jeder Rinne unterschiedlich. Die Proben werden dann im Labor analysiert. |
Ohne Labordaten wird nicht simuliert
Was in der Anlage in Berlin gemacht werde, seien Stichproben unter naturnahen Bedingungen. „Wir simulieren hier nur“, führt er aus, „wenn wir mit unseren Kolleginnen der anderen Fachgebiete im UBA gemeinsam bewertet haben, dass ein Wirkstoff schädliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte.“
Auf sein Bewusstsein und der Wertschätzung für das Gleichgewicht von Natur und Umwelt hat sein Job im Übrigen keinen Einfluss. „Das war eigentlich schon immer da“, sagt Schmidt achselzuckend, „das hat sich durch die Arbeit höchstens noch ein wenig intensiviert.“"
Quelle: t@cker-inside 4/2020, S. 6-7.
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