Samstag, 18. April 2020

t@cker-story 4/2020: Umweltbundesamt zwischen Labor und Natur - Fließ- und Stillgewässer: Alles klar?

t@cker-story 4/2020: Umweltbundesamt zwischen Labor und Natur - Fließ- und Stillgewässer: Alles klar?

"Umweltbundesamt zwischen Labor und Natur

Fließ- und Stillgewässer: Alles klar?


Von Dominique Roth und Selina Lampe (Fotos)


Die Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage (FSA) des Umweltbundesamtes in Berlin bildet fließende, stehende und durchströmte Gewässer mit den darin befindlichen aquatischen Lebensgemeinschaften nach. Darin untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie sich insbesondere Schadstoffe auf die Wasserqualität und -lebewesen auswirken. 


Jetzt haben wir uns schon wieder die Hand gegeben“, lacht Ralf Schmidt und winkt verlegen ab. Er verabschiedet sich und geht wieder in das Bürogebäude der Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage. Es ist Anfang März 2020, das Wort Homeoffice geistert schon durch die Medien, ist aber im Arbeitsalltag der meisten Beschäftigten noch nicht angekommen. Immer stärker werdender Nieselregen, Berliner Stadtrand. Von der Anlage, die in den 90er Jahren gebaut wurde, geht der Blick in die Brandenburger Weite.


Lebensmittelchemiker Ralf Schmidt ist in der FSA Fachgebietsleiter Chemikaliensicherheit und zuständig für die Fließ- und Stillgewässersimulationen. Die modulare Anlage lässt sich jeweils so stecken, wie die Forscher es brauchen. Draußen ist noch ein zweites Wannensystem installiert, wo die Bedingungen mit Regen, Wind und Sonne noch naturnäher sind.

Eine gute Stunde zuvor reicht Schmidt zum ersten Mal die Hand - trotz der noch neuen Corona-Ratgeber - und setzt sich an seinen Schreibtisch. Hinter ihm im Regal hat er mehrere Plastikflaschen aneinandergereiht. Eine davon sieht noch recht neu aus, der Kunststoff ist noch durchsichtig. Die anderen sind bereits milchig geworden, alle in unterschiedlichen Abstufungen. „Daran kann man die Abnutzung erkennen“, erklärt Schmidt. Die Plastikflaschen seien Teil einer längeren Studie, die sich über mehrere Saisons hinzieht, so der Forscher weiter. Untersucht werden soll, wie schnell die Flaschen Mikroplastik ins Wasser abgeben und welche Auswirkungen das auf Pflanzen und Kleinstlebewesen haben kann. Dabei werden die Flaschen in unterschiedliche künstlich angelegte Wasserbiotope gelegt. Etwa in eine Brandung, in der permanent kleine Wellen über den Flaschen brechen. Oder in einen simulierten Bachlauf. „Dauert gar nicht lange“, zeigt Schmidt beiläufig auf eine der arg mitgenommenen Kunststoffflaschen, „bis die so abgenutzt aussehen - ein paar Wochen vielleicht.“


Die Anlage verbindet naturnahe Biodynamik mit laborähnlicher Kontrolle

Die Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage (FSA) des Umweltbundesamtes ist eine so genannte Mesokosmenanlage. Darin lassen sich fließende, stehende und durchströmte Gewässer mit den darin befindlichen aquatischen Lebensgemeinschaften nachbilden. Dadurch können hier Untersuchungen stattfinden, die sich einerseits sehr nah an den natürlichen Gegebenheiten in den Gewässern orientieren, und die andererseits optimale Beprobungsmöglichkeiten bieten - fast wie im Labor.
Der Zweck dieser Mesokosmen-Experimente ist es etwa, gezielt Stoffe oder Mikroorganismen einzubringen, um ihre Wirkung auf Flora und Fauna festzustellen. Darüber hinaus beobachten die Forscher, wie sich die eingebrachten Stoffe verteilen und wie stabil sie bleiben.
„Ein relativ bekanntes Beispiel dafür war unsere Studie zu den Antifouling-Mitteln“, erklärt Schmidt. Dabei wurden die bioziden Wirkstoffe von Beschichtungen untersucht, die seinerzeit für das Auftragen auf Schiffsrümpfen vorgesehen waren. „Wir haben die entsprechenden Wirkstoffe in unsere gezüchteten Systeme gegeben und gesehen, dass sie den Wasserpflanzen sichtbar geschadet haben.“ Die Untersuchungen führten laut Schmidt letzten Endes dazu, dass die EU-Kommission diese Antifouling-Beschichtungen verboten hat.


Die Anlage besteht aus vielen verschiedenen Modulen

Ralf Schmidt ist Fachgebietsleiter im Fachbereich Chemikaliensicherheit. 
Er ist zuständig für Spurenanalytik und eben die Fließ- und Stillgewässersimulationen. Dabei ist er, wie er selbst sagt, in das Thema Umweltschutz „irgendwie reingerutscht“. 
Der studierte Lebensmittelchemiker hat vor geraumer Zeit Stoffe in Lebensmitteln getestet und darüber seine Begeisterung für das Thema entdeckt.
Schmidt steht auf einer Brücke, die quer über das grüne Fließrinnensystem führt, das sich in langen, größtenteils halbrunden Bahnen durch eine Industriehalle schlängelt. 
„Die gesamte Anlage ist modular aufgebaut“, zeigt Schmidt, „wir können die Rinnen so stecken, wie wir es brauchen.“ Dafür gibt es unterschiedliche Bauteile wie etwa ein rechteckiges Becken, dessen Boden im Vergleich zu den anderen Stücken etwas abgesenkt ist. In ein paar dieser Becken werden gerade neue Wasserpflanzen herangezüchtet. 
„Wir sind gerade am Umbauen, zwischen zwei Versuchen“, betont Schmidt. 
Die Halle sehe aber auch während der Versuche so leer wie jetzt. „Wir benötigen hier in der Regel immer nur ein paar Proben, die wir dann in den Laboren analysieren.“


Die Forscher testen Schadstoffe in unterschiedlichen Konzentrationen

Draußen, vor der Halle ist noch ein zweites Wannensystem installiert. „Hier sind die Bedingungen noch naturnäher“, fährt Schmidt fort. Hier komme, wie heute, der Regen dazu, der Wind, die Sonne und weitere äußere Bedingungen. „Da kommen auch immer mal wieder Vögel und trinken aus dem Wasser oder picken sich ein paar der Insekten, die wir hier züchten.“
Denn um die Natur so gut es geht künstlich nachzuahmen, stellen Schmidt und seine Kolleginnen und Kollegen kleine Nahrungsketten in den Becken her. 
Wasserpflanzen, Insekten, Larven, Wasserflöhe, Schnecken und vieles Getier mehr. 
„Wir machen das natürlich auch immer abhängig vom Stoff, den wir testen wollen“, sagt Schmidt, „je nachdem, ob es sich dabei um ein Herbizid oder ein Insektizid handelt.“
Die Tests laufen ähnlich vielfältig ab. Oft wird das Schlupfverhalten der Insekten analysiert, oder die Wasserpflanzen werden gewogen und mit einem Blindwert verglichen. 
„So nennen wir die Systeme, in die wir keine zu untersuchenden Stoffe eingegeben haben“, so der Forscher.
Schmidt hat seine Mütze tief ins Gesicht geschoben. Durch den anhaltenden Nieselregen laufend, erklärt er die nebeneinanderstehenden Rinnen. „Wir bringen die Schadstoffe oft in aufsteigenden Konzentrationen aus - in jeder Rinne unterschiedlich“, so Schmidt. 
Durch die verschiedenen Ergebnisse bei Pflanzen und Tieren würden dann sogenannte Effektkonzentrationen ermittelt. „Ist diese Wirkungskonzentration sehr nah an dem Wert, wie er voraussichtlich in der Umwelt vorkommen wird, gibt es ein Problem“, betont der Wissenschaftler.

Um die Natur so gut es geht künstlich nachzuahmen, stellen Schmidt und seine Kolleginnen und Kollegen kleine Nahrungsketten in den Becken her. Wasserpflanzen, Insekten, Larven, Wasserflöhe, Schnecken und vieles Getier mehr. Die Schadstoffe, zum Beispiel Herbizide oder Insektizide, werden dann in aufsteigenden Konzentrationen ausgebraucht - in jeder Rinne unterschiedlich. Die Proben werden dann im Labor analysiert. 


Ohne Labordaten wird nicht simuliert
Dem Forscher ist wichtig zu erwähnen, dass in der Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage nur geprüft wird, wenn bereits Laborergebnisse vorhanden sind. „Zunächst sind die Unternehmen verpflichtet, neue Wirkstoffe selbst im Labor zu testen“, so Schmidt. Diese Ergebnisse würden dann vom Umweltbundesamt überprüft. 
Was in der Anlage in Berlin gemacht werde, seien Stichproben unter naturnahen Bedingungen. „Wir simulieren hier nur“, führt er aus, „wenn wir mit unseren Kolleginnen der anderen Fachgebiete im UBA gemeinsam bewertet haben, dass ein Wirkstoff schädliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte.“
Auf sein Bewusstsein und der Wertschätzung für das Gleichgewicht von Natur und Umwelt hat sein Job im Übrigen keinen Einfluss. „Das war eigentlich schon immer da“, sagt Schmidt achselzuckend, „das hat sich durch die Arbeit höchstens noch ein wenig intensiviert.“"


Quelle: t@cker-inside 4/2020, S. 6-7.





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